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Beitrag vom 24.11.2009
Helen - eine Frau in den Tiefen der klinischen Depression
Anna Opel
Noch wenn sie sich das Messer gegen die Brust schlägt, sieht Ashley Judd in der Rolle der Helen gut aus. Regisseurin Sandra Nettelbeck gelingt das realistische Bild einer grausamen Krankheit
Fünf Gründe, trotzdem zu leben
Depression ist eine Volkskrankheit. Das wissen wir, viele Menschen leben mit antidepressiven Medikamenten, viele leiden jahrzehntelang. Aber wie sieht die Depression aus, was richtet sie an mit einem Leben? Im neuen Film von Sandra Nettelbeck finden zwei kranke Frauen vorübergehend aneinander Trost: Helen (Ashley Judd) und Mathilda (Lauren Lee Smith), treffen sich nach Zufallsbegegnungen in einer psychiatrischen Anstalt. Im vorigen Leben war Helen Mathildas Musikprofessorin. Die klinische Depression hat die beiden Frauen gleich gemacht. Eine glückliche Frau in den besten Jahren, in zweiter Ehe gut verheiratet, mit niedlich pubertierender Tochter und riesigem Freundeskreis – und eine Getriebene, Beziehungslose, die in einem verwahrlosten Loch haust und ihre Fäuste durch Glasscheiben treibt. Als die Depression Helen von allem isoliert hat, was vorher wichtig war, kann sie nur noch Mathildas Gegenwart ertragen. Weil sie versteht, keine Ratschläge gibt, nichts verlangt. Eine innige Freundschaft, fast eine Liebe, entsteht.
Riskanter Stoff
Drehbuchautorin und Regisseurin Sandra Nettelbeck ist herzulande mit ihrem leichteren Drama "Bella Martha" (mit Martina Gedeck in der Titelrolle) bekannt geworden. Mit "Helen" hat sie sich einem riskanten Stoff zugewandt. Ihn filmisch zu bewältigen ist schon deshalb schwierig, weil Depression Unlebendigkeit, Abwesenheit von Kontakt bedeutet, Phänomene, die sich für bildliche Darstellungen nicht gerade aufdrängen.
Es dauert eine Weile, bis, nach sich verfinsternden, melodramatischen Blicken und Köpfeschlagen gegen die Wand, die Zuschauerin mit dem Film ankommt in einer stimmigen Dimension der Problematik, bis irgendwann beinahe alle Brücken zu Helens Leben, ihrem Mann, ihrer Tochter, ihrem Beruf, einstürzen.
Der Film steigt mit Helen in den Abgrund hinab und ist dort stark, wo er zeigt, wie sie sich fast verliert, wo er die Zweischneidigkeit der entmündigenden Behandlung in der Psychiatrie anspricht, dem dauernden destruktiven Grenzgang zwischen Leben und Tod Raum gibt.
Zu Besuch in der Hölle
Und dennoch – etwas stimmt nicht in der allzu klischeehaften Kontrastierung der Figuren Helen und Mathilda, daran, wie das alles in der höchsten Verzweiflung noch schick und – dann doch – nach Beziehungsdrama aussieht. Und an der expliziten, plakativen Art, mit der Mathilda als Verlorene stigmatisiert ist (wenn sie fremde Männer anquatscht und am schnellen Fick im Stehen leidet, ihren Kopf gegen die Wand schlägt, zittert und um sich schlägt). Für Helen, wie für die Dramaturgie ist sie weniger eigenständige Figur, als Teil der "Hölle", der die intaktere Helen nur einen vorübergehenden Besuch abstattet.
Als Helens Tochter in der gemeinsamen Absteige vorbeikommt, bringt das für Helen die Wende. Sie beschließt, weiterzuleben und sich der Elektroschockbehandlung zu unterziehen, die sie zuvor strikt abgelehnt hatte.
Wichtige Sätze
Sandra Nettelbeck verfolgt beste Absichten und es gelingt ihr, in ihrem Film eine Vorstellung vom radikal unsozialen Zustand der Depressiven zu vermitteln. Dass Depression nicht Traurigkeit ist, sondern Krankheit, dass sie mit Liebe nicht zu heilen ist. Einsichten, die wichtig sind für das Verständnis und für das Umfeld der Betroffenen. Helens Ehemann (Goran Visnjic) bleibt als Figur ziemlich blass in seiner Hilflosigkeit, der Eifersucht auf Martha und mit seinen repetitiven, oberflächlichen Liebesbekundungen.
Der erleichterte Rückblick, der die Geschichte schon zu Beginn als bewältigte Vergangenheit darstellt und der etwas süßliche Schluss, stellen einen merkwürdigen Widerspruch dar zur absolut radikalen Verlorenheit der beiden kranken Frauen. Denkbar, dass dies Konzessionen waren, um das düstere und wichtige Thema überhaupt auf dem US-amerikanischen Markt platzieren zu können.
Helen feierte die Weltpremiere im Januar 2009 auf dem Sundance-Festival.
AVIVA-Tipp: Ein Film über die Destruktionsarbeit der Krankheit Depression. Zwischen Melodram und Beziehungsgeschichte zeigt Sandra Nettelbeck ihre Titelfigur, wie sie durch eine Phase der sozialen Auflösung geht und sich am Rande des Todes aufhält. Eine ungewöhnliche Freundschaft zu einer anderen Frau hilft ihr, zu überleben. Etwas zwiespältig ist die Rahmenhandlung, die die ungeheuerliche Kraft der Krankheit ins Dämonische zieht und zur Wiederherstellung der Normalität eine der Figuren opfert.
Helen
Deutschland / Kanada 2008
Drehbuch und Regie: Sandra Nettelbeck
DarstellerInnen: Ashley Judd, Lauren Lee Smith, Goran Visnjic, u.v.m.
Eine Produktion von Egoli Tossell Film (Judy Tossell), Insight Film Studios (Christine Haebler) in Zusammenarbeit mit Aramid Entertainment
Gefördert durch Filmstiftung Nordrhein-Westfalen, Medienboard Berlin Brandenburg, Filmförderungsanstalt (FFA), Deutscher Filmförderfonds (DFFF) und Telefilm Canada
Verleih: Warner Bros. Pictures Germany
119 Minuten
Kinostart: 26.11.2009
www.helen-derfilm.de